Die weiße Jungfrau vom Heiligenberge
Die weiße Jungfrau vom Heiligenberge
Unglaublich groß sind die Schätze, die tief im Innern des Heiligenberges verborgen liegen. Wer sie besäße, würde der reichste Mann der Welt sein. Aber es hat noch kein Sterblicher die Schlüssel zu diesen Schätzen gefunden und der einzige, dem sie geboten wurden, war dumm genug, sie nicht zu nehmen.
Dieser eine war ein Schäfer aus Gensungen. Er hatte, lang ist es schon her, an einem schönen Sommertag seine Herde den Berg hinaufgetrieben. Da erschien ihm, wie aus dem Boden gewachsen, eine Jungfrau in einem langen weißen Gewand. Sie gab ihm Zeichen, dass er ihr folgen solle. Ängstlich schritt er hinter der seltsamen Erscheinung her: es öffnete sich vor ihnen eine Tür und sie traten in einen langen Gang. Dem Schäfer wurde unheimlich zumute. Da drehte sich die Jungfrau nach ihm um, deutete schweigend auf einen Strauß Schlüsselblumen und versuchte ihm durch Zeichen verständlich zu machen, dass er den Blumenstrauß nehmen sollte. Aber der Ängstliche hatte sich schon halb zur Flucht gewendet. Mit wenigen Sätzen war er zur Tür hinaus, die alsbald mit lautem Gepolter hinter ihm zufiel. In demselben Augenblick hörte der Schäfer von drinnen einen entsetzlichen Schrei, der ihm durch Mark und Bein drang; dann war es wieder so still und einsam wie zuvor und der Schäfer sah weder die Jungfrau noch die Tür, durch die sie gegangen waren, jemals wieder.
Der Blumenstrauß war der Schlüssel zu den Schätzen: hätte er ihn genommen, so wären all die goldgefüllten Kammern des Berges vor ihm aufgegangen, ihr Reichtum wäre sein und die Jungfrau erlöst gewesen. Jedes Jahr im Juni wird anlässlich des Sonnenwendfeuers auf dem Heiligenberg die Sage der weißen Frau erzählt.